Bitter ist besser: Die Bedeutung von Bitterstoffen für die Magen- und Darmgesundheit

Wer ein Blatt Wermut eine Weile im Mund behält, wird zwei Dinge bemerken. Zum einen den bitteren Geschmack und zum anderen, wie sich das „Wasser im Mund zusammenzieht". Durch die Bitterstoffe der Pflanze werden die Muskeln der Speicheldrüsen angeregt, der Speichel in die Mundhöhle abgegeben und damit ein verdauungsfördernder Prozess in Gang gesetzt. Dieser verdauungsanregende Effekt von Bitterstoffen ist in der Volksmedizin schon lange bekannt und wird auch heute noch therapeutisch effektiv eingesetzt.

Bereits im Altertum wurden Bitterstoffdrogen bei der Behandlung verschiedenster Krankheiten und Beschwerden verwendet. Hippokrates, Hildegard von Bingen und Paracelsus haben die Heilkraft der Bitterstoffe gekannt und sie vielfach bei den unterschiedlichsten Indikationen therapeutisch eingesetzt. Neben ihrer fiebersenkenden und kräftigenden Wirkung galten sie auch als verdauungsfördernd. So schrieb z.B. Hildegard von Bingen über den Wermut, einer Heilpflanze mit hohem Bitterstoffanteil: „Der Wermut (...) wärmt den Magen (Darm) und reinigt die Eingeweide und bereitet eine gute Verdauung." Heute ist die therapeutische Anwendung von Bitterstoffen in erster Linie fokussiert worden auf intestinale Beschwerden.

Der Bitterwert
Bitterstoffe sind oft in Wurzeln enthalten, aber auch in Blättern und Früchten. Chemisch gesehen sind Bitterstoffdrogen eine uneinheitliche Stoffgruppe, die einzig der bittere Geschmack und ähnliche Wirkungen verbindet. Die Gemische werden unterschieden in terpenoide (Mono-, Sesqui-, Di- und Triterpene) und nicht-terpenoide Bitterstoffe (z.B. Flavonoide oder Zucker).

Wegen der chemischen Heterogenität kann eine Bewertung der Drogen mit Bitterstoffen nur über die Bestimmung des Bitterwertes erfolgen. Dazu ist eine gewisse Mindestkonzentration als Standardwert notwendig. Angegeben wird diese Konzentration über den sogenannten Bitterwert, um individuelle Unterschiede bei der Wahrnehmung des Geschmacks auszugleichen. Als Standardsubstanz wird Chininhydrochlorid verwendet, dessen Bitterwert mit 200.000 festgelegt wurde. Das heißt, die Lösung von 1g Chininhydrochlorid in 200.000 ml Wasser schmeckt gerade noch bitter. Ein Bitterwert von 10.000 bedeutet demnach, dass ein Extrakt von 1g Droge in 10.000 ml Wasser gerade noch bitter schmeckt. Der Bitterwert variiert je nach Bitterstoffdroge erheblich (siehe Tabelle 1). Aber auch die Aufbereitung der Heilpflanzen kann den Bitterwert beeinflussen. So haben Artischockenblätter einen Bitterwert von 10.000, eine daraus gewonnene Tinktur 2.600, ein Frischpresssaft 1.800 und der Tee nur einen Bitterwert von 140 [1].

 
Heilpflanze Bitterwert
Benediktenkraut  1.000–2.500
Bitterklee  4.000–10.000
Enzianwurzel  10.000
Löwenzahn   100
Orangenschalen  600
Tausendgüldenkraut  2.000
Wegwarte  800
Wermut  10.000-25.000

 

 

 

 

 



Tabelle 1: Beispiele für Bitterwerte [nach 1, 2]

Einteilung der Bitterstoffe
Bitterstoffdrogen werden in drei Gruppen eingeteilt: bittere Bitterdrogen, aromatische Bitterdrogen und scharfe Bitterdrogen (siehe Tabelle 2). 

Reine Bittermittel (Amara tonica) Bittermittel mit ätherischen Ölen
(Amara aromatica)
Bittermittel mit Scharfstoffen
(Amara acria)
• Andorn
• Artischocke
• Chinarindenbaum
• Gelber Enzian
• Löwenzahn
• Tausendgüldenkraut
• Teufelskralle
• Wegwarte
• Angelikawurzel
• Anis
• Baldrianwurzel
• Beifuß
• Benediktenkraut
• Echter Engelwurz
• Kalmus
• Mariendistel
• Orange
• Pomeranze, Bitterorange
• Rosmarin
• Salbei
• Schafgarbe
• Wermut
• Galgant
• Gelbwurz (Kurkuma)
• Ingwer

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Tabelle 2: Die Unterscheidung von Bitterstoffdrogen [3]

Die vielfältigen Wirkungen der Bitterstoffe
Der menschliche Organismus verfügt über eigene Bitterrezeptoren, die nicht nur im Mundbereich lokalisiert sind, sondern auch im gesamten Magen-Darm-Trakt. Über die Bitterrezeptoren wird die Sekretion von Verdauungssäften, insbesondere von Speichel- und Magensaft angeregt. Bitterstoffe eignen sich sowohl zur Beruhigung von intestinalen Reizzuständen als auch zur Anregung von erlahmter intestinaler Motilität. Das liegt u.a. an der sekretionssteigernden Wirkung, die einerseits über die Anregung der Geschmacksrezeptoren für bitter auf der Zunge über den Nervus vagus erfolgt, anderseits über die Freisetzung von Gastrin, die auch die Magenmotilität erhöht und die Muskeln im Magen-Darm-Trakt tonisiert.
Bitterstoffe wirken aber nicht nur sekretionsfördernd und darmmotilitätssteigernd, sondern auch vegetativ regulierend, tonisierend und appetitanregend. Darüber hinaus fördern sie die Leber- und Gallefunktion. Das stimulierte Gastrin und die aktivierte Magen-Darm-Motorik regen die Gallensaft- und Pankreassekretion an, was Auswirkung auf Eiweiß-, Kohlenhydrat- und Fettverdauung hat.

Bitterstoffe werden heutzutage in der Naturheilkunde deshalb zur Behandlung von Appetitlosigkeit, dyspeptischen Beschwerden bzw. Magen-Darm-Beschwerden und bei Störungen des Galleflusses therapeutisch verwendet. Zudem haben sie eine stimulierende Wirkung auf das darmassoziierte unspezifische Abwehrsystem. Einige Bitterstoffpflanzen wie Ingwer, Gelbwurz (Kurkuma) oder Teufelskralle (Harpagophytum) haben ferner eine entzündungshemmende Wirkung. Mittlerweile sind dilatierende Effekte der Bitterstoffe auf den Respirationstrakt belegt. Sie können zudem bei Anwendung als Inhalation Bronchospasmen lösen [4].

Die Wirkung von Bitterstoffen auf Magen und Darm auf einen Blick

  • ppetitanregend
  • sekretionssteigernd (Speichel und Magensaft)
  • stimulieren die Motorik im oberen Magen-Darm-Trakt und beschleunigen die Magenentleerung
  • leicht abführend
  • regen Produktion von Magensäure, Gallensaft und Pankreassekret an
  • stimulieren das darmassoziierte unspezifische Abwehrsystem

Therapieoptionen mit Bitterstoffen
Bitterstoffe können in Fertigextrakten, als Tee, Tinktur, Frischpflanzensaft oder als alkoholischer Auszug eingenommen werden. Auch Nahrungsmitteln können reich an Bitterstoffen sein, z.B. Löwenzahnsalat, Chicorée, Radicchio oder Endiviensalat oder Kräuter wie Bohnenkraut, Dill, Oregano, Rosmarin, Salbei oder Thymian. Zu bedenken ist hier, dass von den frischen Kräutern eine deutlich höhere Gewichtsmenge eingenommen werden muss, um den Trocknungsverlust bei der trockenen Droge auszugleichen.

Bitterstoffe nicht süßen
Viele Menschen mögen den Geschmack bitter nicht. Das ist nicht verwunderlich, weil der bittere Geschmack ursprünglich mit einer Warnfunktion einhergeht. Er signalisiert, dass man vielleicht giftige oder ungesunde Stoffe eingenommen hat. Der Körper regiert daher bei der Reizung der Bitterstoffrezeptoren mit entsprechenden Gegenmaßnahmen. Trotzdem sollte die Einnahme von Bitterstoffen nicht „versüßt", also z.B. gesüßt, werden, weil sonst die Wirkung im Mund beeinträchtigt wird. Sollten einzelne Bitterstoffpflanzen starken Widerwillen oder gar Brechreiz auslösen, so können Kombinationen vor allem mit aromatischen Pflanzen ausprobiert werden, um einen angenehmeren Geschmack zu erzielen. Ansonsten gilt es den Patienten den gesundheitlichen Nutzen der Bitterstoffe zu erklären, um so ihre Compliance zu erhöhen.

Quellen
1. Bühring U. Praxis-Lehrbuch Heilpflanzenkunde, 4. Aufl. Stuttgart: Haug Verlag; 2014
2. Heinz Schilcher (Hrsg.): Leitfaden Phytotherapie, München: Elsevier; 2016
3. Bernhard Uehleke. Bitterstoffe – nicht nur für den Geschmack. VFEDaktuell 176, 2020, 22-25
4. Liggett S.B. Bitter taste receptors on airway smooth muscle as targets for novel bronchodilators. Expert Opin Ther Targets 2013; 17(6): 721–731

Nichts ist so heilsam, wie die Natur.