Phytotherapie bei unkomplizierten akuten und rezidivierenden Harnwegsentzündungen

Entzündungen der ableitenden Harnwege zählen zu den häufigen Leiden der westlichen Industrienationen. Glücklicherweise stehen bei Harnwegsinfektionen pflanzliche Arzneien zur Verfügung, die sich bei unkomplizierten akuten Infektionen und rezidivierenden Verläufen bewährt haben. 

Das Spektrum der Harnwegsentzündungen reicht von einer ungefährlichen unkomplizierten Harnblasenentzündung bis hin zu einer Nierenbeckenentzündung. Als unkompliziert gilt eine Harnwegsinfektion, wenn im Harntrakt keine relevanten funktionellen oder anatomischen Anomalien, Nierenfunktionsstörungen oder Begleiterkrankungen bzw. Differenzialdiagnosen vorliegen, die eine Harnwegsinfektion bzw. gravierende Komplikationen begünstigen. Die Symptome einer akuten Zystitis sind Schmerzen und Störungen beim Wasserlassen, imperativer Harndrang, Pollakisurie, Schmerzen oberhalb der Symphyse sowie weißlich trüber Urin. Von rezidivierenden Harnwegsinfektionen geht man aus, wenn symptomatische Episoden zweimal oder mehrmals innerhalb von sechs Monaten, bzw. dreimal oder häufiger innerhalb von zwölf Monaten auftreten [1].

Eine akute Infektion der unteren Harnwege ist eine typische Frauenerkrankung. Etwa die Hälfte aller Frauen hat mindestens einmal im Leben mit einem Harnwegsinfekt zu tun. In den meisten Fällen sind jüngere, sexuell aktive Frauen, aber auch Seniorinnen über 75 Jahre, insbesondere Bewohnerinnen von Pflegeeinrichtungen, betroffen. Rund 20 Prozent der Betroffenen leiden unter Rezidiven. 

Die Gründe, warum Frauen häufiger von Harnwegsinfektionen betroffen sind als Männer, sind u.a. anatomischer Natur. Da die weibliche Harnröhre rund vier Zentimeter kürzer ist als die männliche, können Keime schneller in die Blase gelangen und dort die Schleimhaut entzünden. Als nachteilig erweist sich hier auch die unmittelbare Nähe von Harnröhre, Vagina- und Darmöffnung bei Frauen, denn so können Bakterien aus dem Darm leicht in die Harnröhre gelangen. Auch Geschlechtsverkehr erhöht das Risiko für eine Blasenentzündung, da dabei Darmbakterien leichter nach oben in Richtung Blase vordringen können. Frauen sind zudem während der Schwangerschaft oder im Klimakterium anfällig für Blasenentzündungen. Grundsätzlich können auch Antibiotika das Infektionsrisiko erhöhen, da sie Einfluss auf die Darm- und Vaginalflora und die Schleimhäute haben und damit das Einnisten und Aufsteigen von Bakterien begünstigen.

Häufigster Auslöser: Escherichia coli 
Bei unkomplizierten Harnwegsentzündungen ist Escherichia coli bei weitem der häufigste Erreger. Erst mit großem Abstand folgen andere Spezies der Enterobacterales sowie andere Gram-negative Erreger (z. B. Pseudomonaden) und Gram-positive Erreger, wie Staphylokokken (z.B. Staphylococcus saprophyticus) und Enterokokken (z.B. Klebsiella pneumoniae, Proteus mirabilis).

Therapieziel: Elimination des Keims
Das obsterste Ziel der Therapie ist die rasche Elimination des Keims aus den ableitenden Harnwegen. Da rund 30–50 % aller unteren Harnwegsinfekte innerhalb einer Woche spontan ausheilen und angesichts steigender Antibiotikaresistenzen sowie der bekannten Nebenwirkungen einer Antibiotikatherapie, sollte bei unkomplizierten Fällen bei nicht-geriatrischen Patientinnen und Patienten der Einsatz eines Antibiotikums gut abgewogen werden. In den ersten Tagen kann erst einmal abgewartet bzw. mit einem Schmerzmittel (mit nichtsteroidale, antiinflammatorische Substanzen wie Diclofenac, Ibuprofen), D-Mannose oder Phytopräparaten (z.B. Echte Bärentraube, Tausendgüldenkraut, Liebstöckelwurzel, Rosmarinblättern) behandelt werden [1]. Eine Studie konnte zeigen, dass zwei Drittel von Frauen mit unkomplizierten Harnwegsinfektionen ohne Antibiotika gesund wurden. Hierzu reichte eine Behandlung mit Schmerzmitteln [2].

Nicht-antibiotische Therapieoptionen: Allgemeine Maßnahmen und  Phytotherapeutika
Grundsätzlich gilt, dass vor begleitenden naturheilkundlichen Therapien von Harnwegsbeschwerden ein malignes Geschehen oder eine komplizierte Erkrankung ausgeschlossen sein muss.

Sie sollten Ihren Patientinnen und Patienten folgende allgemeine Maßnahmen empfehlen: 

  • Viel trinken! Mindestens 1,5–2 Liter Flüssigkeit pro Tag, um Blase und Harnleiter durchzuspülen und Keime auszuschwemmen (z.B. Blasen-Nieren-Tee oder Arzneitees mit Goldrute, Hibiskus, Hauhechel oder Ackerschachtelhalm)
  • Kälte meiden!
  • Auf regelmäßige und vollständige Entleerung der Blase achten
  • Wärmeanwendungen, z.B. mit einer Wärmflasche oder feuchtwarmen Umschläge auf den Unterleib
  • Ballaststoffreiche Ernährung, um Verstopfungen zu vermeiden

Konnte ein malignes Geschehen oder eine komplizierte Erkrankung ausgeschlossen werden, können auch pflanzliche Arzneimittel zum Einsatz kommen. Sie fördern z.B. die Nierendurchblutung und die Durchspülung der Harnwege und unterstützen die Desinfektion der Harnwege. 

Zu den pflanzlichen Harnwegsdesinfizienzien zählen z.B. die Bärentraube, der Meerrettich, die Kapuzinerkresse, Brunnenkressenkraut, weißes Sandelholz sowie Cranberries:

  • Bärentraubenblätter (Uvae ursi folium) enthalten Hydrochinonglykoside (darunter Arbutin), Gerbstoffe, Flavonoide und Phenolkarbonsäuren und wirken antibakteriell, antiphlogistisch sowie harndesinfizierend. 
  • Meerrettichwurzel (Armoracia rusticana) und Kapuzinerkresse (Tropaeolum majus) enthalten Senfölglykoside, für die eine antivirale Wirkung nachgewiesen werden konnte.
  • Cranberries (Vaccinium macrocarpon) enthalten Proanthocyanidine, die die Keimausschwemmung unterstützen und die Anhaftung von Bakterien an der Schleimhaut hemmen.

Bärentraubenblätter und weißes Sandelholz eignen sich allerdings nicht für eine Langzeittherapie über einen Monat hinaus. Für Sandelholz wurden Nierenschäden beschrieben.

Zu den pflanzlichen Aquaretika zählen beispielsweise die Goldrute, der Ackerschachtelhalm, Birkenblätter, Brennnessel und Hauhechelwurzel. Sie begleiten die Therapie von Harnwegsdesinfizienzien und schwemmen Keime aus. 

  • Ackerschachtelhalmkraut (Equisetum arvense) enthält Kieselsäure und Silikate, Flavonoide (insbesondere Kämpferol und Quercetin) sowie geringe Mengen von Alkaloiden wie Nikotin. Es wirkt durchspülend, stoffwechselanregend und antientzündlich.
  • Birkenblätter (Betulae folium) enthalten Flavonoide, Phenolcarbonsäuren, Triterpenester, Gerbstoffe und ätherische Öle. Sie regen die Nierenfunktion an, wirken harntreibend, entwässernd und entzündungshemmend
  • Brennnessel (Urtica dioica) enthält Mineralstoffe, Acetylcholin, wirkt durchspülend und hat antioxidative, antiödematöse und entzündungshemmende Eigenschaften.
  • Goldrutenkraut (Solidago virgaurea) enthält Phenolglykoside, Flavonoide, Triterpensaponine, Gerbstoffe, Kaffeesäurederivate und Ätherische Öle. Sie sind für seine diuretisch/aquaretische, immunmodulierende, antiphlogistische und spasmolytische Wirkung verantwortlich. Neben der durchspülenden Funktion regt die Goldrute die Nierenfunktion an und stärkt die Niere.
  • Hauhechelwurzel (Ononidis radix) enthält Isoflavonoide, Flavonoide, geringe Mengen ätherisches Öl sowie Triterpene. Die Wirkstoffe wirken harntreibend, stoffwechselanregend und entzündungshemmend.
  • Löwenzahn (Taraxacum officinale) hat mit seinen Wirkstoffen (Bitterstoffe, Inulin, Triterpene, Phytosterole, Flavonoide, Carotinoide, Vitamine und Mineralien) harntreibende und stoffwechselanregende Wirkung. Darüber hinaus regt er die Gallen- und Magensaftsekretion an. 

Gänsefingerkraut (Potentilla anserina) zählt weder zu den Desinfizienzien noch zur den Aquaretika. Es enthält jedoch Flavonoide und ist reich an Gerbstoffen, die den Bakterien durch ihre adstringierende Wirkung das Einnisten in die Schleimhaut erschweren und eine oberflächliche Schutzschicht auf der Schleimhaut bilden. Toxische Substanzen und pathogene Keime können sich so nicht ansiedeln. Darüber hinaus wirkt Gänsefingerkraut entzündungshemmend, krampflösend und antiseptisch. 

In den pflanzlichen Kombinationsmittel Solidagoren® Liquid wirken die Eigenschaften der Goldrute, des Ackerschachtelhalms und des Gänsefingerkrauts synergistisch. Dank der Goldrute und des Ackerschachtelhalms hat das Phytotherapeutikum eine stark durchspülende Wirkung. Durch die adstringierende Wirkung hemmt Gänsefingerkraut das Einnisten von Bakterien in die Schleimhaut, Goldrute wirkt zudem antientzündlich, sowie entkrampfend auf die Blasenmuskulatur.

Rezidivprophylaxe
Zur phytotherapeutischen Therapie bei rezidivierenden Harnwegsinfekten hat sich neben den oben beschriebenen Heilpflanzen insbesondere Cranberrysaft bewährt. Die im Saft enthaltenen Proanthocyanidine fördern die Keimausschwemmung durch den Urin und hemmen die Anhaftung der Bakterien an der Schleimhaut. In Hinblick auf die Vermeidung von Rezidiven gibt es zudem Hinweise, dass ein Präparat aus Bärentraubenblättern und Löwenzahn Vorteile im Vergleich zu Placebo hat. Für ein Kombinationspräparat aus Liebstöckelwurzel, Rosmarinblättern und Tausendgüldenkraut in der Kombination mit Antibiotika fanden sich Anhaltspunkte für einen Mehrwert im Vergleich zu der alleinigen Behandlung mit Antibiotika bei Rezidiven. Zur Rezidivprophylaxe hat sich auch eine Kombination von Kapuzinerkresse und Meerrettichwurzel hat sich gegenüber Placebo als wirksamer erwiesen.

Prophylaktisch sollte eine übertriebene Intimhygiene vermieden werden, da die Vaginalflora und die Schleimhäute der Blase, Harnleiter und Vagina einen wichtigen Schutzmantel vor eindringenden Keimen bilden. Dieses lokale protektive Milieu kann durch zu häufiges oder falsches Waschen zurückgedrängt werden, was u.a. Harnwegsinfektionen begünstigen kann. Deshalb sollten bei der Intimpflege aggressive und parfümierte Seifen, Duschgele, Intimsprays, Deos, Duftstoffe gemieden und auf Alkohol oder Farb- und Konservierungsstoffe verzichtet werden. 

Quellen


1.    Konsultationsfassung der derzeit in Überarbeitung befindlichen S3-Leitlinie: Epidemiologie, Diagnostik, Therapie, Prävention und Management unkomplizierter, bakterieller, ambulant erworbener Harnwegsinfektionen bei Erwachsenen (HWI)
https://register.awmf.org/assets/guidelines/043-044l_S3_KF2_Epidemiologie-Diagnostik-Therapie-Praevention-Management-Harnwegsinfektionen-Erwachsene_2024-05_1.pdf
2.    Ildikó Gágyor, Jutta Bleidorn, Michael M Kochen, Guido Schmiemann, Karl Wegscheider, Eva Hummers-Pradier. Ibuprofen versus fosfomycin for uncomplicated urinary tract infection in women: randomised controlled trial. BMJ 2015;351:h6544 ,doi: 10.1136/bmj.h6544

Nichts ist so heilsam, wie die Natur.